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Cannabis in der modernen Therapie

Cannabis hat eine erstaunliche Karriere hingelegt: von der jahrtausendealten Heilpflanze über die jahrzehntelange Stigmatisierung bis hin zur heutigen Rückkehr in die wissenschaftliche Medizin. Während die öffentliche Debatte oft von Freizeitkonsum geprägt ist, rückt die Forschung zunehmend auf ein Gebiet in den Vordergrund, das Millionen betrifft – chronische Schmerzen und neurologische Erkrankungen.

Chronische Schmerzen – wenn herkömmliche Mittel versagen

Chronische Schmerzen zählen zu den größten Herausforderungen moderner Medizin. Viele Patientinnen und Patienten sprechen unzureichend auf klassische Schmerzmittel wie Opioide oder Antikonvulsiva an. Genau hier kommt Cannabis ins Spiel.

Eine systematische Übersichtsarbeit der US-Agentur für Healthcare Research and Quality (2024) fasst aktuelle Studien zusammen: Cannabinoide führten in mehreren randomisierten Studien zu einer kleinen bis moderaten Schmerzreduktion, vor allem bei Nervenschmerzen. Zwar war die Effektstärke nicht spektakulär, doch für Betroffene, die jahrelang mit quälenden Beschwerden leben, kann selbst eine moderate Erleichterung entscheidend sein – insbesondere, wenn andere Optionen erschöpft sind.

Multiple Sklerose und Spastik

Besonders gut untersucht ist der Einsatz bei Multipler Sklerose. Viele MS-Patientinnen und Patienten leiden unter schmerzhaften Muskelkrämpfen. Das oromukosale Spray Nabiximols, das THC und CBD kombiniert, wurde in mehreren europäischen Studien geprüft. Eine britische Phase-III-Studie (2022) zeigte, dass rund 40 % der Patientinnen und Patienten eine klinisch relevante Verbesserung der Spastik berichteten – deutlich mehr als unter Placebo. Auch Schlafqualität und Lebensqualität verbesserten sich in der Interventionsgruppe.

Epilepsie – ein Durchbruch für CBD

Ein regelrechter Meilenstein war die Entwicklung von Cannabidiol (CBD) als Antiepileptikum. In einer multizentrischen Studie, veröffentlicht im New England Journal of Medicine (2017), konnte die Zahl epileptischer Anfälle bei Kindern mit dem schweren Dravet-Syndrom unter CBD signifikant reduziert werden. Spätere Registerstudien, zuletzt ein Langzeit-Follow-up aus 2024, bestätigen, dass viele Kinder auch über Jahre eine deutliche Anfallsreduktion behalten – mit überschaubaren Nebenwirkungen. Das CBD-Präparat Epidiolex ist mittlerweile in Europa und den USA für mehrere seltene Epilepsieformen zugelassen.

Chancen und offene Fragen

Die bisherigen Ergebnisse sind vielversprechend, doch es bleiben Fragen offen. Cannabis lindert Schmerzen, heilt sie aber nicht. Manche Patientinnen und Patienten profitieren deutlich, andere kaum. Auch die ideale Dosierung, das Verhältnis von THC zu CBD und die Langzeitwirkungen sind noch nicht vollständig geklärt.

Gleichzeitig wird in weiteren Feldern intensiv geforscht: Studien laufen derzeit zu Parkinson, Alzheimer, Angststörungen und chronisch-entzündlichen Erkrankungen. Erste Ergebnisse deuten an, dass das therapeutische Spektrum noch breiter sein könnte, als wir heute wissen.

Fazit

Cannabis ist keine einfache Lösung, aber ein wertvolles Werkzeug, das Menschen mit chronischen Schmerzen, MS-Spastik oder therapieresistenter Epilepsie neue Perspektiven eröffnet. Die Forschung entwickelt sich rasant, und je besser wir das Zusammenspiel von Cannabinoiden und dem menschlichen Nervensystem verstehen, desto gezielter kann diese alte Pflanze in der modernen Medizin genutzt werden.


Quellen & weiterführende Literatur

  1. Häuser, W. et al. (2024). Living Systematic Review on Cannabis and Cannabinoids for Chronic Pain. Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ).

  2. Collin, C. et al. (2022). Efficacy of Nabiximols on Spasticity in Multiple Sclerosis: A Phase III Randomised Controlled Trial. Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry.

  3. Devinsky, O. et al. (2017). Trial of Cannabidiol for Drug-Resistant Seizures in the Dravet Syndrome. New England Journal of Medicine, 376, 2011–2020.

  4. Laux, L. C. et al. (2024). Long-term Safety and Efficacy of Cannabidiol in Pediatric Epilepsy Syndromes: Results from an Expanded Access Program. Epilepsia, 65(3), 456–468.

  5. Whiting, P. F. et al. (2015). Cannabinoids for Medical Use: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA, 313(24), 2456–2473.

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